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„LGBTIQ-freie Zonen“ in Polen: „Man muss zur Not die Partnerschaft aufkündigen.“

Berliner Zeitung: „LGBT-freie Zone“ in Polen: Steglitz-Zehlendorf will Partnerschaft nicht aufkündigen

Die Zeichen sind klar – und sie sind dramatisch.

Nach der Präsidentschaftswahl in Polen am Sonntag mit dem Sieg des Kandidaten der national-konservativen Partei PiS droht sich die Situation sexueller Minderheiten im Nachbarland zu verschärfen. Rund hundert Städte und Gemeinden haben sich zu „LGBT-freien Zonen“ erklärt – ein aggressives Signal an alle Lesben, Schwule, Bi- und Transsexuelle. Immer deutlicher stellt sich die Frage, wie die deutsche Gesellschaft auf diesen Angriff auf Respekt und Menschenrechte reagieren soll. Jetzt geraten auch Städtepartnerschaften unter Druck. Es ist die Frage zu klären, ab wann Partnerschaften aufgekündigt werden müssen. Ab wann also ein klares und dramatisches Zeichen gesetzt werden muss. Oder ist es richtig, gerade in solchen Zeiten zu partnerschaftlichen Kontakten zu stehen?

Der Bezirk Steglitz-Zehlendorf ist der einzige Berliner Bezirk, der eine Partnerschaft mit einer polnischen Gemeinde unterhält, die sich zur LGBT-freien Zone erklärt hat.

Es handelt sich um Poniatowa, eine Stadt mit knapp 10.000 Einwohnern im Südosten Polens. Am 30. August 2019 erklärte sich der neugewählte Stadtrat zu einer solchen Zone.

Es dauerte Monate, bis sich der Beschluss bis zum Bezirksamt Steglitz-Zehlendorf herumgesprochen hat. „Wir haben im März oder April davon erfahren“, sagt Bürgermeisterin Cerstin Richter-Kotowski. Sie sehe die Entwicklung gegen Toleranz und Gleichberechtigung in Polen mit großer Sorge, sagt die CDU-Politikerin im Gespräch mit der Berliner Zeitung.

Dennoch hat es noch einmal anderthalb Monate gedauert, bis das Bezirksamt einen Brief an die Partner in Poniatowa richtete.

Man distanziere sich von dem Beschluss des dortigen Stadtrates und erwarte, dass der Beschluss „überdacht und zurückgenommen wird“. Vor zwei Wochen unterzeichnete das Bezirksamt – zusammen mit den acht anderen Berliner Bezirken mit polnischen Partnergemeinden – eine Erklärung, in der sie die aktuellen Entwicklungen als Gefahr für die „bestehenden vertrauensvollen Partnerschaften“, aber auch zukünftige Zusammenarbeit darstellen. Zu beiden Schreiben ist im Rathaus an der Kirchstraße in Zehlendorf bisher keine Antwort angekommen. Und nun?

Cerstin Richter-Kotowski macht sich die Antwort nicht leicht und schlägt zunächst einen weiten Bogen. Sie sagt, sie beobachte die Präsidentenwahl als „als politisch denkender Mensch und als Europäerin mit Sorge“. Die deutsch-polnischen Beziehungen seien ungeheuer wichtig, voller „Dankbarkeit“ erinnere sie an die Errungenschaften der Solidarnosc-Bewegung, deren Anteil an der deutschen Einheit. „Umso schwieriger ist es für mich zu sehen, welchen Weg Polen zuletzt gegangen ist“, sagt sie.

Die Partnerschaft mit Poniatowa möchte sie aber dennoch nicht aufkündigen, sagt die Kommunalpolitikerin und ist sich darin einig mit den vier anderen Bezirksamtsmitgliedern – wie üblich gewählt nach politischem Proporz. „Für uns ist eine solche Partnerschaft ein Bekenntnis für eine freie Bürgergesellschaft. Dennoch kündigt man eine solche Partnerschaft nicht auf. Wir machen das nicht von politischen Ereignissen, Bewegungen oder einzelnen Beschlüssen abhängig – oder auch, weil bestimmte Strömungen an der Regierung sind“, sagt Richter-Kotowski. „Natürlich“ sehe sie die Entwicklung in Polen „sehr kritisch“, sagt die Bürgermeisterin. Aber sie erkenne auch „eine tiefe Spaltung“ der polnischen Gesellschaft. Und niemand wisse, ob sich zum Beispiel die Haltung gegenüber Minderheiten nicht auch wieder ändere.

Zu der Geschichte gehört auch, dass Poniatowa nicht Steglitz-Zehlendorfs einzige Partnergemeinde in Polen ist.

Es war die Musikschule Steglitz, die Anfang der 90er-Jahre Kontakte zur Musikschule von Poniatowa knüpfte. Das Bezirksamt initiierte eine förmliche Partnerschaft, stellte aber bald fest, dass der Partner doch arg klein ist. Schließlich schlossen sich die benachbarten Städte Kazimierz Dolny und Naleczów dem Vorbild Poniatowas und erklärten sich ebenfalls zu Partnern des Bezirks in Berlins Südwesten.

Nach Richter-Kotowskis Darstellung entwickelte sich ein reger Kontakt, anders als zu so mancher anderer der insgesamt 23 Partnergemeinden des Bezirks. Selbst Stadträte reisten immer wieder nach Polen. Sie selbst sei schon mehrfach dort gewesen, zuletzt im Juli vergangenen Jahres. Alle drei Bürgermeister besuchten 2019 auch Steglitz-Zehlendorf. „Heute sind sie alle nicht mehr im Amt. Sie wurden abgewählt“, berichtet die Bürgermeisterin. Im Zuge der Stadtratswahlen outete sich Poniatowa als offen schwulenfeindlich – Kazimierz Dolny und Naleczów taten es offenbar nicht. Zumindest stehen sie nicht auf der Liste der rund hundert polnischen Städten und Gemeinden, die das öffentlich gemacht haben. Nichts genaues weiß man nicht. Von den neuen Amtsträgern kenne man nur die Namen, sagt Richter-Kotowski.

Auf die Frage, wie es jetzt weitergehen könne, zeigt sich Richter-Kotowski klar. „Im Augenblick fährt niemand von uns nach Poniatowa. Und natürlich werde ich auch keine Einladung aussprechen, solange sich die polnische Seite nicht zu dem LGBT-Beschluss erklärt.“ Allerdings versuche man derzeit Kontakt zu den alten Partnern, den ehemaligen Bürgermeistern, zu bekommen. Vorerst ohne Erfolg.

Für Sebastian Walter reicht die Haltung des Bezirks nicht aus.

Der queerpolitische Sprecher der Grünen im Abgeordnetenhaus ist einer der schärfsten Kritiker einer, wie er es empfindet, allzu duldsamen Haltung von deutscher Seite. Walter berichtet im Gespräch mit der Berliner Zeitung von einem Lernprozess, den er selbst durchgemacht habe. Ursprünglich habe er – als Politiker geübt in der Suche nach Kompromissen – auch gedacht, es sei „gut und richtig, solche Partnerschaften und Strukturen aufrecht zu erhalten“. Doch inzwischen habe er verstanden, dass das „offenbar nicht zu besonders viel führt“. Endgültig sei seine Haltung gekippt, als ihn bedrängte polnische Freunde fragten: „Auf was wartet ihr eigentlich?“ Jetzt sagt Walter: „Es braucht ein öffentliches Zeichen. Man muss eine Frist setzen – und dann zur Not die Partnerschaft aufkündigen.“

Dennoch will auch Walter keinesfalls die Brücken nach Polen abbrechen,

wie er sagt. Man könne eine Städte- und Gemeindepartnerschaft aufkündigen, aber dennoch versuchen, Kontakt aufzunehmen. So könne man institutionelle Partnerschaften explizit zu LGBT-Gruppen aufnehmen oder andere zivilgesellschaftliche Initiativen stärken. Davon gebe es nämlich ausgerechnet in Polen sehr viele. Doch das, so Walter, werde völlig unabhängig vom östlichen Nachbarland viel zu selten gemacht.


Den Originalartikel der Berliner Zeitung finden Sie hier.