Presse

Lasst uns Regenbogenbanden bilden!

Mein Gastbeitrag im Tagesspiegel: Ein Coronaschutz-konformer CSD ist möglich – auch auf der Straße!

50 Jahre nach den Aufständen in der Christopher Street in New York und 40 Jahre nach der ersten Demonstration von queeren Aktivist*innen in West-Berlin waren im vergangenen Sommer rund eine Million Menschen auf den Berliner Straßen.

Laut, sichtbar und ausgelassen forderten sie das ein, was seit Stonewall gelten sollte und trotz aller gesellschaftlicher Fortschritte noch immer nicht eingelöst ist: gleiche Rechte.

Und das Ende von Diskriminierung, Ausgrenzung und Gewalt gegenüber Lesben, Schwulen, Bisexuellen, trans- und intergeschlechtlichen sowie queeren Menschen (LSBTIQ*).

Die Corona-Pandemie verändert in diesem Jahr alles

Großveranstaltungen sind vorerst untersagt. Das Demonstrations- und Versammlungsrecht aus Gründen des Gesundheitsschutzes eingeschränkt.

Damit ist völlig klar: Auch der CSD wird nicht in seiner bisherigen Form stattfinden können. Das ist selbstverständlich richtig und geboten – und doch für die Community eine historische Zäsur und angesichts der politischen Umstände dramatisch.

Der CSD Berlin e.V. stellt gerade Überlegungen an, wie der Protest ins Internet verlagert werden kann. Wir halten das für richtig. Jede Idee ist willkommen, um queere Forderungen auch in Zeiten von Corona zu artikulieren. Ein rein digitaler CSD ist aber unserer Überzeugung nach nicht ausreichend – gerade jetzt nicht!

Auf europäischer Ebene verschärft sich die Lage für LSBTIQ* aktuell massiv

In Ungarn wird unter Viktor Orbán die rechtliche Anerkennung der geschlechtlichen Identität für trans Personen zur Disposition gestellt.

In Polen beschließen immer mehr Städte und Gemeinden homo- und transfeindliche Resolutionen und deklarieren sich als sogenannte „LSBTIQ-freie Zonen“.

Gleichzeitig debattiert das polnische Parlament ein Verbot von Sexualpädagogik an Schulen und die weitere Verschärfung des Abtreibungsverbots – und greift damit auch die geschlechtliche und sexuelle Selbstbestimmung von Frauen und LSBTIQ* an.

Das wollen wir nicht still und leise hinnehmen! Neben klaren politischen Ansagen aus Europa und vom Bund braucht es hier auch eine Reaktion aus Berlin. (siehe dazu auch meinen Artikel: „LGBTIQ-freie Zonen“ in Polen – das Bezirksamt Steglitz-Zehlendorf muss endlich handeln!)

Sei es, indem das Bezirksamt Steglitz-Zehlendorf endlich einen unmissverständlichen Umgang mit der polnischen Partnergemeinde Poniatowa findet – so wie es die grüne Fraktion in der BVV schon seit Wochen fordert –, sei es durch ein lautstarkes, öffentliches Zeichen der Solidarität mit den queeren Aktivist*innen in Osteuropa.

Die Ausnahmesituation der Krise wollen aber auch hierzulande Akteur*innen am rechten Rand, sogenannte ‚besorgte Bürger*innen‘ und Rechtskonservative nutzen, um lang erkämpfte Bürger*innenrechte von LSBTIQ* wieder einzuschränken und notwendige Forderungen nach Gleichbehandlung und Emanzipation zu delegitimieren.

Die queere Community ist systemrelevant

Die Pandemie als Chance für den gesellschaftlichen Rollback – oder, wie es von der AfD im Berliner Abgeordnetenhaus klar benannt wurde: „Genderprofessuren und Queerbeauftragte“ seien eben nicht „systemrelevant“!

Dem stellen wir uns entgegen! Unsere Antwort muss laut und deutlich für alle sein: Mit uns geht es nur nach vorn, aber keinen Millimeter zurück! Die queere Community ist „systemrelevant“! Und auch der Protest gegen Patriarchat, Heterosexismus und Diskriminierung ist „systemrelevant“.

Wir träumen von einem Berliner CSD am 25. Juli, der seinen berechtigten Protest nicht nur im Internet formuliert, sondern überall in der Stadt – laut, bunt, solidarisch und politischer denn je. Dafür gibt es bereits viele gute Ideen.

Viele kleine, Corona-Schutz-konforme Demogruppen könnten que(e)r über Berlin verteilt – möglicherweise sogar digital vernetzt – die politischen Forderungen der Community verbreiten. Lasst uns Regenbogenbanden bilden!

Corona stellte die Frage nach dem Zusammenleben neu

Corona stellt die Frage nach dem gesellschaftlichen Zusammenleben wieder neu. Egal in welcher öffentlichen Form der CSD in diesem Jahr stattfindet, muss er eins leisten: Eine starke Stimme für die Gesellschaft der Vielen zu sein.

 

Veröffentlicht bei Der Tagesspiegel unter dem Titel: Ein Coronaschutz-konformer CSD ist möglich – auch auf der Straße