Grüner Parteitag beschließt: Schluss mit der rechtlichen Diskriminierung von Lesben* und ihren Familien

Für den Landesausschuss, den kleinen Parteitag von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Berlin, am 16. Dezember 2020 hat Sebastian Walter, MdA, gemeinsam mit vielen Unterstützer*innen einen Antrag eingereicht, der einen Maßnahmenkatalog zur Beendigung der (rechtlichen) Diskriminierung von Lesben und ihren Familien vorschlägt. Dabei geht es um die Gleichstellung in allen gesellschaftlichen Bereichen – sei es bei der Kinderwunschbehandlung, bei der Co-Mutterschaft in Regenbogenfamilien oder bei der Aufnahme von Pflegekindern. Darüber hinaus fordert Sebastian Walter eine historische Aufarbeitung des Kindesentzugs bei lesbischen und bisexuellen Mütter bis in die 1990er Jahre. – Der Landesausschuss hat den Antrag einstimmig beschlossen!

 

Beschluss des Landesausschusses von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Berlin am 16.12.2020:

Gleichstellung ohne Wenn und Aber: Schluss mit der rechtlichen Diskriminierung von Lesben* und ihren Familien

Als Teil der LSBTIQ*-Community haben wir Bündnisgrüne den jahrzehntelangen Kampf um die „Ehe
für alle“ mit initiiert und getragen. Der daraus resultierende Beschluss über die Öffnung
der Ehe durch den Deutschen Bundestag am 30. Juni 2017 war eine parlamentarische Sternstunde
und ein historischer Erfolg der queeren Emanzipationsbewegung für die Gleichstellung von
Lesben, Bisexuellen und Schwulen in Deutschland.

Doch der Jubel über die Öffnung der Ehe für gleichgeschlechtliche Paare kann bis heute nicht
darüber hinwegtäuschen, dass an diesem Tag die zentrale Forderung – „Gleiche Rechte für
gleiche Liebe!“ –nur teilweise erfüllt wurde. Mit dem Beschluss der großkoalitionären
Gesetzesvorlage wurden ungleiche Rechte weiter fortgeschrieben: die volle rechtliche
Gleichstellung von lesbischen und bisexuellen Frauen* steht noch immer aus!

Aber auch jenseits der unvollständigen Umsetzung der „Ehe für alle“ werden Lesben und
lesbische Anliegen noch immer marginalisiert, abgewertet und unsichtbar gemacht. Lesbische
Frauen* sind im besonderen Maße von Mehrfachdiskriminierung betroffen. Und dies nicht nur in
der Mehrheitsgesellschaft, sondern auch in der LSBTIQ*-Community selbst, wo sie ebenfalls
noch immer über einen geringeren Zugang zu politischen und finanziellen Ressourcen verfügen.

Mit dem rot-rot-grünen Koalitionsvertrag haben wir als Gegenmaßnahme beschlossen, lesbische
Sichtbarkeit in Berlin gezielt zu fördern. Diesen Auftrag nehmen wir sehr ernst: Dafür wurde
zum Beispiel der „Preis für lesbische Sichtbarkeit“ durch die Senatsverwaltung für
Antidiskriminierung in diesem Jahr zum zweiten Mal an verdiente Aktivistinnen* verliehen.
Zudem konnten wir die Mittel zur Stärkung und zum Ausbau lesbischer Strukturen im
Doppelhaushalt 2020/21 deutlich erhöhen und auch unter dem Druck der Pandemie absichern.
Außerdem ist es uns gelungen, die Errichtung des inklusiven Lesbenwohnprojekts und
Kulturzentrumsvon „RuT – Rad und Tat“ nicht nur mit einem Ort, sondern auch finanziell mit
Projektmitteln auzustatten, und die Gründung eines zweiten Regenbogenfamilienzentrums in den
östlichen Bezirken zu unterstützen.

Doch damit werden wir uns nicht zufriedengeben: Wir werden unser Engagement gegen
Lesbenfeindlichkeit und für die Unterstützung lesbischer Strukturen nicht nur fortführen,
sondern ausbauen. Dafür wollen wir im nächsten Schritt die volle rechtliche Gleichstellung
von frauenliebenden Frauen* in Partner*innenschaft und Familie durchsetzen!

Wir fordern:

1. Rechtliche Gleichstellung von Co-Müttern

Bei der Geburt eines gemeinsamen Kindes muss für homo- und bisexuelle Frauen*paare gelten,
was auch für heterosexuelle Paare gilt: beide Eheleute sind von Anfang an rechtlich
vollwertige Elternteile. Derzeit ist für die nicht-leibliche Co-Mutter eine aufwendige,
bevormundende und entwürdigende Stiefkindadoption erforderlich, die eine elterliche
Eignungsprüfung durch die Ämter vorsieht. Das ist nicht nur absurd, sondern im höchsten Maße
diskriminierend.

Die Bundesregierung plante diesen Sommer sogar eine weitere Verschärfung der Regularien für
die Stiefkindadoption, womit die Ungleichbehandlung für Mütter-Paare weiter zementiert und
die Diskriminierung verstärkt werden würde. Im Bundesrat haben wir Grüne diesen
diskriminierenden Gesetzentwurf für das neue Adoptionshilfe-Gesetz daher erfolgreich
gestoppt!

Diese Diskriminierungspraxis der „Ehe für alle“ muss schnellstmöglich beendet werden. Das
Kindeswohl steht für uns dabei im Mittelpunkt: Beide Mütter müssen von Geburt an
gleichberechtigte Eltern ihres Kindes sein können. Solange die Bundesregierung nicht endlich
aktiv wird und eine diskriminierungsfreie Novelle des Adoptionshilfe-Gesetzes vorlegt,
fordern wir den Berliner Senat auf, hier mit einer eigenständigen Bundesratsinitiative zur
Novellierung des Abstammungsrechts auf Bundesebene initiativ zu werden. Dabei soll auch die
rechtliche Absicherung von Regenbogenfamilien in ihrer gesamten Vielfalt Eingang finden –
etwa durch die Berücksichtigung von sozialer Elternschaft und Mehrelternkonstellationen, von
präkonzeptionellen Elternschaftsvereinbarungen oder der rechtlichen Anerkennung von
transgeschlechtlichen Eltern.

2. Reproduktive Rechte stärken

Auf Grundlage der Bundesinitiative „Hilfe und Unterstützung bei ungewollter Kinderlosigkeit“
bietet das Land Berlin heterosexuellen Paaren die Möglichkeit, einen Teil der Kosten für die
Behandlung mit reproduktiven Maßnahmen durch Bundes- und Landesmittel zu finanzieren. Das
Bundesprogramm richtet sich dabei ausschließlich an verheiratete heterosexuelle Paare. Wir
begrüßen es, dass sich der Senat hier bereits ein Stück von einem antiquierten Familienbild
gelöst hat und in Berlin zwischenzeitlich auch nichtverheiratete heterosexuelle Paare
unterstützt werden. Dies reicht aber nicht aus!

Wir wollen eine finanzielle Unterstützung bei der Kinderwunschbehandlung aus den bestehenden
Landesmitteln für alle in Berlin lebende Familien – unabhängig von ihrer sexuellen
Orientierung und ihrem Familienstand. Für Frauen*paare sowie alleinstehende Frauen* bzw.
gebärfähige Menschen soll dies in einem ersten Schritt unkompliziert für die assistierte
Reproduktion durch eine heterologe, anonyme Samenspende gemäß Samenspenderregistergesetz
ermöglicht werden.

In einem in einem zweiten Schritt und nach Klärung bzw. Novellierung der bundesrechtlichen
Voraussetzungen, müssen diese Unterstützungsmöglichkeiten für alle Formen von
Regenbogenfamilien in Kinderwunschbehandlung gelten und auch von den Krankenkassen erstattet
werden.

3. Unterstützung statt Ausgrenzung bei Pflegekindern

Berlin sucht seit vielen Jahren händeringend Familien für Pflegekinder, die temporär oder
dauerhaft ein neues Zuhause benötigen. Die rechtlichen Vorrausetzungen sind dabei klar: als
Pflegeeltern kommen nicht nur verheiratete heterosexuelle Paare in Frage, sondern
gleichermaßen gesucht werden Singles, alleinerziehende Personen oder Patchwork- und
Regenbogenfamilien. Schon seit vielen Jahren wirbt der Berliner Senat in Kooperation mit
Community-Verbänden daher gezielt und mit öffentlichen Werbekampagnen um LSBTIQ* und
Regenbogenfamilien als Pflegeeltern. Das begrüßen wir ausdrücklich!

In der Praxis kommt es aber für queere Pflegeeltern – und hierbei insbesondere für lesbische
bzw. Frauen*paare – noch viel zu oft zu ganz spezifischen Hürden und zu
Ungleichbehandlungen. Freie Träger, Ämter, Gutachter*innen, Sachverständige,
Rechtsanwält*innen und Richter*innen sind vielfach nur bedingt auf die Realität von
Regenbogenfamilien eingestellt und dafür sensibilisiert. Regenbogen-Pflegeeltern werden
dabei LSBTIQ*-feindlichen Vorurteilen, heteronormativen Erziehungsvorstellungen und
Misogynie ausgesetzt. Fester Bestandteil dieser diskriminierenden Einstellungen ist die
Vorstellung, das „Wohle des Kindes“ bemesse sich ausschließlich an einem vermeintlichen
Ideal der heterosexuellen Ehe.

Daher fordern wir, dass alle mit den Belangen von Pflegekindern befassten Träger, Stellen
und Gerichte für den gleichberechtigten und diskriminierungsfreien Umgang mit Regenbogen-
Pflegeeltern und insbesondere lesbischen Paare durch geeignete Informationen sowie durch
Aus- und Fortbildungsmaßnahmen gezielt geschult bzw. sensibilisiert werden. Darüber hinaus
fordern wir die Einrichtung eines spezifischen Beratungs- und Unterstützungsangebots für
Regenbogen-Pflegefamilien als Anlaufstelle für u.a. rechtliche Fragen im Umgang mit Behörden
und Gerichten.

Pflegefamilien sind die beste Unterbringungsmöglichkeit für Kinder in familiären Notlagen.
Ein diskriminierungsfreier Umgang mit Regenbogen-Pflegeeltern würde die Bereitschaft von
LSBTIQ* deutlich erhöhen, Kinder in Pflege zu nehmen. Angesichts des großen Bedarfs kann
Berlin nicht auf dieses Angebot verzichten!

4. Aufarbeitung des Kindesentzugs lesbischer und bisexueller Mütter

Bis in die 1990er Jahre hinein wurde Frauen*, die in Beziehungen mit Frauen* lebten, immer
wieder das Sorgerecht für ihre Kinder entzogen. Begründet wurde das mit der Gefährdung des
Kindeswohls. Derzeit wird dieses historische Unrecht ausschließlich in Rheinland-Pfalz mit
einem wegweisenden, regionalen Gutachten aufgearbeitet. Für konkrete politische
Schlussfolgerungen ist es noch zu früh. Umso wichtiger ist es, den historischen
Erkenntnisstand zu verbreitern.

Dafür wollen wir eine bundesweite Studie zum Kindesentzug bei lesbischen und bisexuellen
Müttern anstoßen und die Praxen in BRD und DDR aufarbeiten. Mit dem Neustart der „Initiative
Geschlechtliche und Sexuelle Vielfalt“ (IGSV) wird sich der Berliner Senat für einen Bund-
Länder-Forschungsfonds zu Fragen der Gleichbehandlung von LSBTIQ* einsetzen. Wir fordern,
dass im Rahmen dieses Fonds eine bundesweite Studie initiiert und durchgeführt wird. Das aus
dieser Studie generierte Wissen wird das Bewusstsein für historische lesbische
Lebensrealitäten erhöhen und stellt eine notwendige Grundlage für weitere konkrete
politische Schritte dar.

Wir Grüne stehen wie keine andere Partei für die volle rechtliche Gleichstellung von LSBTIQ*
und ihre vielfältigen Familienformen. Die Attacken auf queere Menschen und ihre
selbstgewählten Lebensweisen, die aggressive Propagierung eines antiquierten
heterosexistischen Frauen*- und Familienbildes sind uns Ansporn, weiter progressiv und
emanzipatorisch voranzugehen. Wir werden die Ungleichbehandlung und Diskriminierung von
lesbischen und bisexuellen Müttern und ihren Kindern nicht länger hinnehmen – wir kämpfen
für gleiche Rechte für alle Familien! Denn bei der Sicherung der Gleichbehandlung von
LSBTIQ* geht es um nichts anderes als die Verwirklichung ihrer verfassungsgemäßen
Bürger*innenrechte. Nicht mehr und nicht weniger!